Zu den neueren Skulpturen von Wolfgang Kohl
von Dr. Dirk Tölke
Wolfgang Kohl hat lehrend seinen Bezug zu Menschen, Material und Praxis fortwährend
weiterentwickelt und seit 2015 wieder intensiv an die Arbeit mit Holzskulpturen angeknüpft. Seine
Arbeiten sind figürlich und gegenständlich, wobei er sich schon früh aufgrund seines Interesses am
Thema Mensch für einen Realismus entschieden hatte, der nicht im zeitgenössischen Fokus stand und
sich erst gegen die Abstraktion wieder durchsetzen musste. So war ein gewisser hartnäckiger
Widerstand und persönliche Überzeugung für diese Stillage nötig, wie seinerzeit ebenfalls bei
Vertretern der Malerei, die auch immer mal wieder von Leitmedien und Kunstkritik totgesagt wird.
“Gedankensplitter“
Wolfgang Kohl
Skulpturen
24.04. – 22. 05. 2022
Einerseits ist verständlicherweise die Abstraktion nach der Erfahrung zweier diktatorischer Systeme
eine Bildsprache, die international und selten propagandistisch nutzbar ist, während der Realismus mit
mit Pathosformeln diesbezüglich missbraucht wurde. Andererseits werden dadurch Ausdrucksmöglichkeiten eingeengt, die sich mit dem bedrängten einzelnen Menschen und seiner gesellschaftlichen
Situation nachempfindbar auseinandersetzen. Für den Betrachter bietet die realistische Bildsprache
einen direkten, unmittelbaren Zugang ohne den interpretatorischen Spielraum einzuengen.
Das tut auch Wolfgang Kohl in seinem Medium Holz durch eine gezielte mitunter auch zeichenhaft rohe
Gestaltung, die nicht auf Hochglanz und Illusionismus aus ist, sondern dem Material eine atmosphärische, eindringliche Nähe und zugleich distanzierte Nüchternheit abgewinnt. So sieht man sich als
Betrachter nie konkret mit einem spezifischen Vorfall oder mit einer auf ein konkretes Individuum Bezug
nehmende Thematik konfrontiert, was die Intensität und Tiefe der Auseinandersetzung erhöht. Die
Formwelt betont den allgemeinen Charakter und bildet die Analyse in der bildhauerischen Umsetzung
sinnlich ab.
So nimmt z.B. das einbaumartige Boot mit seinen Insassen aktuell Bezug auf die Flüchtlingssituation im
im Mittelmeer, betrifft aber grundsätzlich ähnliche Vorgänge mindestens seit den Boatpeople in
Vietnam. Scheinbar sitzen wir alle in einem Boot lautet der allgemeinmenschliche Anwurf des Werkes,
der durch eine Fehlstelle in der Reihe der Insassen möchte, dass wir uns in die Situation der Flüchtenden hineinversetzen. Diese sind in verschiedenen Grundformen ohne Merkmale von Geschlecht oder
Herkunft schematisiert. In Holzsträngen gesägt, in Scheiben geschnitten, bilden die in das Einbaumgebilde gesetzten Körper mit ihren gestreckten Armen betonte Gesten, die mit erhobenen Händen nicht
eindeutig Entsetzen oder Freude über eine mögliche Rettung aus einer bedrohlichen Situation
bedeuten. Die Entscheidung überlässt der Künstler dem Betrachter. Das Boot hat auch noch etwas von
einer Galeere, weil seitlich ruderhaft Reihen von Stangen auskragen mit denen man aber vermutlich
kaum voran kommt, was die Ungewissheit der Lage verdeutlicht.
Es erhebt sich manche Frage: Will man die Menschen ertrinken lassen oder retten oder überhaupt ihre
Fluchtbemühung wahrnehmen, in der sich Verzweiflung aber auch Mut und eine unbändige Lebensenergie ausdrücken, die nach individueller Freiheit strebt. Die Frage: wie fühlt man sich als jemand, der
keinen anderen Ausweg sieht, als seine Heimat zu verlassen, lässt die Lücke im Boot offen. Anonymisiert sind die Bootsinsassen weniger noch als Nummern. Aus dem Blickwinkel der Schleuser und der
Verwaltungsbürokratie, für die Einen schnelles Geld für die Anderen lästiger zusätzlicher Arbeitsaufwand und Kostenträger.